Der Oppositionspolitiker erläuterte in dem Interview mit dem Radiosender Moskauer Echo seinen Plan für ein besseres Russland. 45 Minuten lang erklärte er, was die russische Regierung anders machen müsse und welche gewaltigen Fehler sie in der Ukraine-Krise begehe.
Er redete schnell und bestimmt und fiel dem Moderator an mehreren Stellen ins Wort, als hätte er geahnt, welches Schicksal ihn ereilen würde.
„Putins unsinnige Aggression ist an allem Schuld“
„Die Sanktionen, dann die Kapitalflucht: all das wegen Putins unsinniger Aggression gegen die Ukraine,“ sagte Nemzow. Moskau unterstütze die russischen Separatisten in der Ostukraine, auch wenn Putin das nach wie vor abstreite.
„Wir haben uns in Russland an alles gewöhnt. Aber an Putins sadistische Art haben wir uns nicht gewöhnt und werden uns auch niemals gewöhnen“, sagte er weiter.
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Als Beispiel nannte Nemzow den Fall der ukrainischen Pilotin Nadija Sawtschenko, die seit einem halben Jahr in russischer Gefangenschaft ist und seit 75 Tagen durch einen Hungerstreik ihre Freilassung erzwingen will. Auch für sie wollten Tausende Russen am Sonntag im Rahmen der Frühlingsdemonstration auf die Straße gehen.
„Der Sadismus gegen Sawtschenko nimmt ein unmenschliches Ausmaß an. Wenn Sie mich fragen, ob wir den Sadisten Putin unter Druck setzen können, dann sage ich ja, das ist möglich.“ Aber dafür müssten Millionen Menschen in Russland auf die Straßen gehen, was nicht passieren werde, sagte er. „Aber ich glaube, dass das Leben von Sawtschenko viel wichtiger ist als das von Putin.“
Das Attentat geschah wenige Meter vom Kreml entfernt; Bild: dpa
Nemzow wollte beim Frühlingsmarsch am Sonntag auftreten
Anlass des Radiointerviews war der Frühlingsmarsch in Moskau, bei dem Nemzow am Sonntag auftreten wollte. Es handelt sich dabei um die erste große Oppositionsaktion dieses Jahres – ein organisierter Protest gegen Putins Ukraine-Politik, die aus Sicht des Kremlgegners Russland in den Abgrund stürzt.
Ob der Marsch nun nach der Ermordung des Oppositionellen wie vorgesehen stattfindet, ist unklar.
Trauernde legen Blumen am Tatort nieder; Bild: dpa
Internationale Bestürzung über Ermordung von Nemzow
International hat der Mordanschlag auf den Politiker Entsetzen ausgelöst. Bundeskanzlerin Merkel äußerte sich bestürzt über die kaltblütige Tat. Regierungssprecher Steffen Seibert teilte am Samstag in Berlin mit, die Kanzlerin fordere Russlands Präsidenten Wladimir Putin auf, „zu gewährleisten, dass der Mord aufgeklärt und die Täter zur Rechenschaft gezogen werden“.
Merkel sei „bestürzt über die hinterhältige Ermordung“ des 55-Jährigen, der als einer der schärfsten Kritiker von Kremlchef Putin galt. „Sie würdigt den Mut des ehemaligen stellvertretenden Ministerpräsidenten, der seine Kritik an der Regierungspolitik immer wieder auch öffentlich geäußert hat“, erklärte Seibert.
Nemzow als erbitterter Kämpfer für die Demokratie
Auch Frankreichs Präsident Hollande verurteilte den Mord an Nemzow aufs Schärfste. Der frühere Vize-Ministerpräsident sei ein mutiger und unermüdlicher Verteidiger der Demokratie gewesen, teilte der Élysée-Palast am Samstag mit. Die Tat sei niederträchtig. Hollande würdigte Nemzow zugleich als erbitterten Kämpfer gegen die Korruption.
Der bulgarische Außenminister Daniel Mitow bezeichnete Nemzow als „herausragenden Oppositionsführer“. Sofia erwarte von Moskau, dass nach einer „unabhängigen Ermittlung“ die Ausführer dieser „kriminellen Handlung“ zur Verantwortung gezogen würden, hieß es in einer am Samstag veröffentlichten Erklärung.